Die Religion des Islam
Innerhalb der Gruppe der Weltreligionen gehört der Islam zu den sogenannten monotheistischen Offenbahrungsreligionen. Das bedeutet, dass seine Legitimität von Muslimen mit dem Verweis auf einen göttlichen Willen begründet wird, wobei es darüber hinausgehend keine Beweise gibt, die man zur Verifizierung dieser Behauptung ins Feld führen könnte. Damit reiht sich der Islam ein in die Tradition von Judaismus und Christentum. Im direkten Vergleich zum Juden- und Christentum füllte der Islam im monotheistischen Denken der Spätantike zudem eine Lücke, die er noch heute schließt. Um dies zu verstehen, sei ein Vergleich angestellt.
Das Christentum ist eine missionarische Religion, die sich an jeden einzelnen Menschen richtet. Es ist aber nicht, wie das Judentum, eine Religion, in der Gesetz und Verhalten im Mittelpunkt stehen. Dem Christentum geht es vor allem um Intention und Mentalität. Das Judentum hingegen ist in krassem Gegensatz dazu angelegt – es ist nicht missionarisch, richtet sich nur an die Juden und bietet ein komplettes System von Vorschriften und Geboten, mit dem sich der Gläubige jeden Moment des Tages und der Nacht beschäftigen kann und das sein ganzes Leben beherrscht. Das Judentum ist, anders als das Christentum, also eine Religion, die sich um das Gesetz, die Thora, dreht und in der das Verhalten des Gläubigen derart im Mittelpunkt steht, dass Außenstehende sehr schnell von Legalismus oder gar Überregulierung sprechen. Der Islam hatte es im 7. Jahrhundert also nicht ganz leicht, da es bereits zwei Religionen gab, die inhaltlich ein äußerst breites Spektrum abdeckten. Bemerkenswerterweise ist es ihm dennoch gelungen, die denkbar beste Lösung für dieses Dilemma zu finden – nämlich die Kombination dieser beiden Merkmale.
Wie das Judentum ist der Islam eine Religion, in der das Gesetz, die Scharia, eine zentrale Rolle spielt, und genau wie das Christentum ist er stark auf die Mission ausgerichtet, die in jedem Menschen einen potentiellen Muslim vermutet. Ohne die Scharia wäre der Islam zu einer Art Christentum geworden und ohne seinen Missionscharakter eine Art Judentum geblieben.
Glaubensgrundlagen
Im Zentrum des Islam stehen seine fünf Säulen, die man auch als elementare Pflichten der Muslime verstehen kann. Ihre Einhaltung kommt im Islam große Bedeutung zu, ist aber bis auf die ersten beiden nicht immer verpflichtend.
- Schahāda (islamisches Glaubensbekenntnis);
- Salāt (Pflichtgebet);
- Zakāt (Almosengabe);
- Saum (Fasten im Ramadan);
- Haddsch (Pilgerfahrt nach Mekka).
Anders als im Christentum muss der muslimische Gläubige einen stark ausdifferenzierten Katalog an Vorschriften und Geboten einhalten, um ein gutes, islamkonformes Leben zu führen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, kann sich der Muslim im Wesentlichen an zwei Quellen orientieren. Dazu zählt zunächst der Koran, den Muslime als das „unverfälschte Wort Gottes“ betrachten, das jenseits von Raum und Zeit Gültigkeit hat und auf den Propheten Mohammed herabgesandt worden ist, damit dieser es der gesamten Menschheit verkünde. Daneben gibt es aber auch die sogenannten Hadithe, die Propheten-Traditionen, die das Leben Mohammeds, die Sunna, beschreiben. Bei den Hadithen handelt es sich um verschiedene Kompendien von Aussagen, die dem Propheten zugeschrieben werden und aufgrund ihres normsetzenden Charakters als moralische und juristische Richtschnur für islamkonformes Handeln gelten. Um zu verstehen, warum sich Muslime in vielen Dingen des gesellschaftlichen Lebens so anders verhalten, muss man wissen, dass durch die Hadithe jede Angelegenheit ihres Alltags geregelt wird. Dazu zählen Schlafrhythmus, Kleiderordnung, Sexualität, Reisebestimmungen, Essen und Trinken ebenso wie die eigenen Gedanken – für alle diese Bereiche werden im Islam gleichermaßen detaillierte Regeln postuliert.
Veränderungen in der islamischen Tradition
Wie jede Religion war auch die islamische Tradition im Laufe der Zeit mehreren Veränderungen unterworfen. Ein illustratives Beispiel dafür ist etwa der Brauch, das Gebet nach Mekka auszurichten. Viele Muslime, denen die Geschichte ihrer Religion fremd ist, wissen nicht, dass die Gebetsrichtung ursprünglich nach Jerusalem zeigte, dem nach Mekka und Medina drittheiligsten Ort im Islam. Der Grund dafür war, dass die junge muslimische Gemeinde hoffte, auch die Juden zum Islam zu bekehren, deren wichtigste Stadt Jerusalem im 7. Jahrhundert war. Nachdem sich erwiesen hatte, dass die meisten Juden kein Interesse an einer Konversion zum Islam zeigten, wandte sich Mohammed von der Idee einer Annäherung an jüdische Traditionen ab und verlegte die Gebetsrichtung nach Mekka, welches den Arabern bereits in vorislamischen Zeiten heilig war, weil sich dort die Kaaba befand.
Das zweite Beispiel betrifft einen der drei wichtigsten islamischen Feiertage, den Geburtstag des Propheten (arab.: Maulid an-Nabī), der erst seit dem Mittelalter gefeiert wird. Noch im Jahr 1300 hatte der streng orthodoxe Theologe Ibn Taimīya den Standpunkt vertreten, dass es falsch sei, den Maulid zu feiern. Erstens habe es unter den islamischen Gelehrten keine Eintracht darüber gegeben, wann der Prophet geboren sei; zweitens sei die Maulid-Feier vom Weihnachtsfest abgeleitet, und drittens hätten die ersten Generationen der Muslime den Geburtstag des Propheten nicht gefeiert.
Heute spielen derlei Entwicklungen allerdings keine Rolle mehr. Gleichwohl machen sie deutlich, dass die islamische Tradition keineswegs als festgeformter Monolith, sondern vielmehr als dynamisches Feld zu verstehen ist.