Konservative Muslime haben an der Universität Frankfurt versucht, eine kritische Veranstaltung zur Rolle des Kopftuches im Islam zu verhindern und den Veranstaltern Rassismus vorgeworfen. Warum dieser Konflikt uns alle angeht, wird im Folgenden erklärt.
Die aufschäumende Stimmung kollektiver Hysterie, die gegenwärtig an der Goethe-Universität Frankfurt herrscht, täuscht leicht darüber hinweg, dass ihr eigentlich ein triviales Ereignis zugrunde liegt. In ihrer Funktion als Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam hatte Prof. Susanne Schröter für den 8. Mai 2019 eine Diskussionsrunde zum Kopftuch im Islam einberufen.
Hysterische Reaktionen
Was sich bei nüchterner Betrachtung als ebenso legitime wie anregende Veranstaltung erweist – neben Kritikern waren nämlich auch Befürworter der islamischen Verschleierung geladen – hatte eine Gruppe anonymer Studenten zum Anlass genommen, um eine perfide Hetzkampagne gegen Schröter loszutreten. Unter dem Motto „Kein Platz für Anti-Muslimischen-Rassismus!“ haben deren Mitglieder ihre Motive unlängst in einer Instagram-Gruppe dargelegt. In einer dort veröffentlichten Erklärung heißt es:
„Wir […] sind schockiert, dass Prof. Dr. Susanne Schröter eine Konferenz mit dem Titel ‚Das islamische Kopftuch – Symbol der Würde oder der Unterdrückung?‘ stattfinden lassen kann […] Gerade heute mit der steigenden Salonfähigkeit von Rechtspopulismus werden in Deutschland Menschen, die das Kopftuch tragen, Opfer von rechter Gewalt und Rassismus. Diese Rechtspopulisten erhalten durch Personen wie Prof. Dr. Susanne Schröter und ihre geladenen Gäste Zuspruch. Zur Konferenz sind Persönlichkeiten, die hochproblematische Aussagen treffen, wie Alice Schwarzer, Dr. Necla Kelek und Ingrid König eingeladen. Ihre Aussagen diskriminieren Menschen aufgrund der unterschiedlichsten gesellschaftlichen Marker wie Religion, Herkunft, Geschlecht oder Sexualität. Dafür ist an unserer Uni, wo wir für Offenheit und Akzeptanz stehen, kein Platz!“
Vermeintliche Hetze gegen Minderheiten
Die zitierten Zeilen sprechen eine drastische Sprache und wirken gleichsam als Warnung an die Zivilgesellschaft. Dieser Lesart zufolge ist das Lehrpersonal der Universität Frankfurt von Rechtspopulisten unterwandert worden, die die Hochschule als Plattform für ihre Hetze gegen verschiedene Minderheiten missbrauchen. Das Verhalten der Studenten wiederum ist eine Reaktion auf Angriffe gegen bürgerliche Werte wie Offenheit, Vielfalt und Toleranz. Diese Legitimation klingt zunächst durchaus sympathisch, was jedoch nichts daran ändert, dass sie sich bei näherem Hinsehen als reine Makulatur entpuppt.
Um die tatsächlichen Intentionen der Autoren angemessen beurteilen zu können, wäre es natürlich hilfreich gewesen, deren Identität zu kennen. Da an ihre Stelle allerdings die Anonymität des Internet gerückt ist, schien es schwierig, die Situation aufzuklären. Was die Autoren jedoch offenbar nicht bedacht haben, ist, dass Anonymität in ihrem Fall paradoxerweise sehr wohl Rückschlüsse auf ihre Identität zulässt.
Reaktionäre islamische Kräfte
Unter dieser Prämisse liest sich das obige Statement ganz anders. Demnach haben nicht besorgte Bürger, sondern muslimische Studenten Anstoß an einer Veranstaltung genommen, die ihre konservative theologische Orientierung infrage stellt. Diese Annahme ist zulässig, weil es sich bei Susanne Schröter nicht bloß um irgendeine Hochschullehrerin handelt, die zum Islam forscht. Stattdessen meldet sie sich in den Medien regelmäßig als kenntnisreiche Kritikerin reaktionärer islamischer Kräfte in Deutschland zu Wort, hat dazu mehrere Bücher geschrieben und ist Mitbegründerin der „Initiative säkularer Islam“, der auch Hamed Abdel-Samad, Seyran Ates und die Soziologin Necla Kelek angehören.
Da allen von ihnen ein Ruf als „Islam-Kritiker“ vorauseilt, weshalb sie von den konservativen deutschen Islam-Verbänden als Nestbeschmutzer gesehen werden, darf man vermuten, dass derselbe reaktionäre Geist auch der Kampagne gegen Schröter innewohnt.
Die Dialektik der Islam-Debatte
Ferner gibt es noch weitere Indizien, die in diese Richtung weisen. So fällt beim Lesen der Erklärung sofort auf, dass die Verfasser ihre Botschaft bewusst in der Dialektik der seit Jahren geführten Islam-Debatte formuliert haben – eine Praxis, auf welche sich auch die Islam-Verbände verstehen. In dieser Weise begründeten die Studenten ihre Kritik zunächst mit der Notwendigkeit, dem Rechtspopulismus entgegenzuwirken. Dies ist nicht nur problematisch, weil es sich dabei um einen unscharfen Begriff handelt, sondern weil Kopftuch tragende Musliminnen auch pauschal zu den Opfern einer intoleranten Mehrheitsgesellschaft verklärt werden.
Dass sich die Angehörigen dieser Gruppe aber keineswegs als Opfer sehen, sondern ihre religiösen Überzeugungen offensiv vertreten, ist eine Erkenntnis, die aus der 2009 vom BAMF herausgegebenen Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ stammt und folgendermaßen lautet: „Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es sich bei den kopftuchtragenden Musliminnen mehrheitlich um selbstbewusste, religiöse Frauen handelt.“
Keine stichhaltigen Argumente
Dass die Anschuldigungen gegen Schröter also im wahrsten Sinne des Wortes an der Wirklichkeit vorbeiziehen, erklärt, warum sie nicht auf stichhaltigen Argumenten, sondern ausschließlich auf ethischen Wertungen basieren. So ist wenig überraschend, dass ihre Urheber auf unscharfe Formulierungen wie „hochproblematische Aussagen“ zurückgreifen, unter denen konservative Muslime zwangsläufig etwas völlig anderes verstehen als Wissenschaftler, die Universitäten noch immer als das begreifen, was sie ursprünglich einmal gewesen sind – offene Räume mit einer Debattenkultur ohne Denkverbote. Dass aber genau solche Grenzen gezogen werden sollen, zeigt auch die Verwendung des Begriffs „Antimuslimischer Rassismus“.
Dieser stammt aus derselben Schublade wie die berühmte von Ruholla Chomeini postulierte „Islamophobie“ und soll Kritik am Islam zu einem rassistischen Reflex degradieren. Dass ausgerechnet der Islam keine Ethnie, sondern eine Religion ist, die vom Prinzip des Supranationalismus ausgeht, sei an dieser Stelle nur am Rande erwähnt. Derlei Feststellungen ändern jedoch nichts daran, dass die Verwendung solcher Begriffe nicht nur bequem ist, weil sie eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Sachargumenten überflüssig macht, sondern weil sie Menschen, die islamkritische Positionen vertreten, an einen öffentlichen Pranger stellt.
Ein unverzichtbarer Debattenbeitrag
Dies trifft auch auf Susanne Schröter zu, deren erfolgreich durchgeführte Veranstaltung keine Diskriminierung von Minderheiten, sondern einen unverzichtbaren Beitrag zu einer seit Jahren immer müßiger geführten Debatte darstellt. Dass es nämlich sehr wohl einen offenkundigen Zusammenhang zwischen dem Grad islamischer Religiosität und einer ablehnenden Haltung gegenüber der säkularen Mehrheitsgesellschaft gibt, geht ebenfalls aus oben zitierter Studie hervor.
Hierzu stellen die involvierten Forscher fest: „Unter Muslimen haben diejenigen den meisten Kontakt zu Deutschen, die eher selten Gottesdienste oder religiöse Veranstaltungen besuchen (80 Prozent) […] Unter der Gruppe der Muslime weisen regelmäßige Gottesdienstbesucher die geringste Kontaktdichte zu Deutschen auf.“
Dass eine konservativ-reaktionäre Theologie längst nicht mehr nur von den Islam-Verbänden vertreten wird, sondern immer häufiger auch unter muslimischen Studenten Verbreitung findet, zeigt das Beispiel der Universität Hamburg. Am 18. Oktober 2017 hatte deren Präsidium ein Reglement herausgegeben, das man vor wenigen Jahren am ehesten in einem Priesterseminar, nicht aber an einer deutschen Hochschule erwartet hätte.
Das problematische Verhalten konservativer Muslime
In ihrem „Verhaltenskodex zur Religionsausübung“ legt die Hochschulleitung erstmals den Rahmen fest, in welchem die Pflege religiöser Gebote künftig auf dem Campus zu erfolgen hat. Als Begründung wird der Wunsch genannt, „das respektvolle und friedliche Miteinander aller Universitätsangehörigen bei der Ausübung verschiedener Glaubensüberzeugungen zu regeln und damit gleichermaßen die Verpflichtung zu wissenschaftlicher Forschung und Lehre zu gewährleisten.“
Wie auch im Falle der Anfeindungen gegen Susanne Schröter muss man den Text zwischen den Zeilen lesen. Was zunächst als das legitime Ansinnen erscheint, Konflikte zwischen den Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften zu regulieren, erweist sich als Maßnahme zur Eindämmung konservativer Muslime. Wer das nicht glaubt, der lese einmal Artikel 1 der Ausführungsbestimmungen, wo es heißt: „Im Raum der Stille wird keine Form der Diskriminierung geduldet. Dazu gehört unter anderem auch die Diskriminierung des weiblichen […] Geschlechts durch eine geschlechtsspezifische Teilung des Raumes.“
Intoleranz, Zwang und Nötigung
Aber auch andere Passagen haben es in sich. Dies gilt etwa für Artikel 4: „Rituelle Handlungen sind nur so lange zulässig, wie sie nicht von anderen Nutzern der Universität als eine Form der aufgedrängten Auseinandersetzung mit der Religion Anderer empfunden werden können. Dieses ist beispielsweise bei rituellen Fußwaschungen in sanitären Anlagen der Fall. Diese sind untersagt. Dieses gilt auch, wenn beispielsweise Gebete in Räumen der Universität oder auf dem Campus laut gesprochen werden.“
Nicht minder brisant ist Artikel 8, in dem es heißt: „Versuche der religiös motivierten Ausübung von Druck auf das Verhalten von Mitgliedern der Universität erfüllen den Tatbestand der Nötigung. Sie werden nicht geduldet. Die Hochschulleitung wird in derartigen Fällen das Hausrecht anwenden.“
Frauenfeindlichkeit und Geschlechtertrennung
Das größte Unbehagen ruft jedoch Artikel 9 hervor, der sich offenkundig gegen Frauenfeindlichkeit richtet: „Insoweit die Universität über den Einsatz ihres Personals in Lehre und Forschung sowie die begleitendenden administrativen Handlungen entscheidet, kann von Studierenden nicht beansprucht werden, von Angehörigen eines bestimmten Geschlechts nicht unterrichtet oder geprüft zu werden. Wird beispielsweise die Annahme von Zeugnissen oder anderen Schriftstücken aus der Hand von Mitarbeitern eines bestimmten Geschlechts verweigert, gehen die damit verbundenen Rechtsnachteile zu Lasten des Empfängers.“
Geschlechtertrennung, die unsachgemäße Nutzung sanitärer Einrichtungen für rituelle Waschungen, ostentative Gebete auf dem Campus und die Weigerung, Materialien von weiblichem Lehrpersonal entgegenzunehmen: Man muss kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass sich die im Verhaltenskodex fixierten Bestimmungen offenkundig auf Muslime beziehen, die entschlossen sind, ihre religiösen Vorstellungen in einer deutschen Hochschule durchzusetzen.
Die Freiheit des Denkens ist bedroht
Mit diesem Phänomen ist nun auch Susanne Schröter konfrontiert, die bereits früh erklärte, die Anfeindungen gegen sie sei die gezielte Einschüchterung durch eine Gruppe muslimischer Studenten. Dass diese in ihrer Erklärung schließlich auch Schröters Eignung als Lehrbeauftrage infrage stellen, lässt keinen Zweifel daran, dass die Freiheit des Denkens an deutschen Universitäten nun auch in Frankfurt akut von religiösen Geistern bedroht wird.
Man muss nicht bis ins Jahr 1633 zu Galileo Galilei zurückgehen, um zu begreifen, dass religiöse Dogmen und die aus ihnen erwachsenen Befindlichkeiten kritischem Denken und freier Forschung fundamental im Wege stehen. Stattdessen reicht ein Blick in die Türkei, wo unter dem Druck der staatlichen Religionsbehörde DIYANET vor einigen Jahren die Evolutionstheorie nach Charles Darwin aus den schulischen Lehrplänen gestrichen wurde, weil sie der koranischen Darstellung von der Entstehung der Welt widerspricht.
Schröter verteidigt die Werte der Aufklärung
Da in Deutschland heutzutage niemand mehr ernsthaft bezweifeln wird, dass religiöse Überzeugungen in der wissenschaftlichen Forschung fehl am Platz sind, bleibt die Frage, wie eine säkulare Gesellschaft mit reaktionären Kräften umgeht, die unter dem Deckmantel der Toleranz eine Aufhebung eben dieser Trennung herbeiführen wollen.
Die Antwort darauf findet sich in der Erkenntnis, dass die Werte der Aufklärung keine irreversiblen Erscheinungen, sondern die kostbaren Früchte eines jahrhundertelangen Kampfes zur Befreiung des Menschen sind. In diesem Sinne hat Susanne Schröter für ihre Beharrlichkeit nicht nur Hochachtung, sondern auch die größtmögliche Solidarität verdient.
Goethe kannte die Lösung
Dass der Kampf gegen die Werte der Aufklärung ausgerechnet an der Goethe-Universität Frankfurt entbrannt ist, kann man indes durchaus als Ironie der Geschichte werten, hatte ihr Namensgeber doch einst folgenden Aphorismus geprägt: „Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, der hat auch Religion; wer jene beiden nicht besitzt, der habe Religion.“
Dass sich die Universität Frankfurt geschlossen hinter Schröter gestellt und damit einen Beitrag zur erfolgreichen Durchführung der Veranstaltung geleistet hat, ist überaus erfreulich, zeigt es doch, dass die Hochschule nicht nur den Namen ihres berühmten Vordenkers führt, sondern sich auch auf dessen Einsichten besinnt.
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