Der Hamburger Senat hat ein Problem. Fünf Jahre sind vergangen, seit die muslimischen Religionsgemeinschaften im November 2012 durch einen Staatsvertrag zu offiziellen Partnern der Politik wurden.
Bis heute kommen Abgeordnete und Senatoren nicht umhin, fortwährend zu betonen, Muslime bildeten einen bedeutenden Teil der Bevölkerung und ihr Glaube sei ein fester Bestandteil des religiösen Lebens in Hamburg. Mit diesem ostentativen Bekenntnis verfolgt der Senat zwei Ziele.
Das Kalkül der Politik
Einerseits sollen Moscheevereine, die man seit dem 11. September 2001 aus der Abgeschiedenheit der Hinterhöfe holen will, zur Solidarität mit der Mehrheitsgesellschaft verpflichtet werden; andererseits möchte die Politik die schlechte Reputation des Islam verbessern – gut integrierte Muslime, deren Gemeinden einen festen Platz in der Gesellschaft haben, könnten der durch Salafismus und Anschläge konsternierten Bevölkerung am besten zeigen, dass das Imageproblem ihrer Religion unbegründet ist.
Was in der Theorie plausibel klingt, hat sich in der Realität als Illusion erwiesen. Die politische Integration der Islam-Verbände, die durch den Staatsvertrag erstmals verbindliche Form gewann, hat zwar zu einer Aufwertung von deren Status gegenüber dem Staat geführt, die erhoffte Annäherung der Muslime an die nichtislamische Mehrheitsgesellschaft hat jedoch nicht stattgefunden.
Vielmehr lässt sich eine gegenläufige Tendenz feststellen, die durch den Unwillen des Senats verschärft wird, schwerwiegende Verfehlungen der Islam-Verbände mit Sanktionen zu ahnden.
Das Islamische Zentrum Hamburg (IZH)
Dies gilt etwa für das IZH. Durch ihre Mitgliedschaft im Trägerverband SCHURA profitiert die schiitische Gemeinschaft von den Bestimmungen des Staatsvertrags. Zu diesen zählt etwa das Recht, an islamischen Feiertagen der Arbeit fernzubleiben, eine Stellungnahme zur Berufung von Lehrpersonal an Hochschulen abzugeben, Halal-Speisen in öffentlichen Kantinen zu erhalten, die Erteilung eines besonderen islamischen Religionsunterrichts zu verlangen, Mitglieder in die Rundfunkräte zu entsenden und Moscheen zu bauen.
Paradoxerweise zielt die Gewährung dieser Rechte, in denen der Staat sein Einverständnis zur Islamisierung einzelner Teilbereiche der Gesellschaft verbrieft hat, darauf ab, die zivilgesellschaftliche Integration der Muslime zu fördern. Diese Inkohärenz sticht ins Auge, ist allerdings nicht der einzige Makel, der die Islam-Politik des Senats kennzeichnet.
In der Beantwortung einer Schriftlichen kleinen Anfrage vom 21. August 2017 hat die Bundesregierung folgende Einschätzung zur politischen und ideologischen Ausrichtung des IZH abgegeben:
„Die inhaltlichen Positionen des IZH ergeben sich aus der Verbindung des IZH zur Islamischen Republik Iran, vor allem durch die vom „Büro des Revolutionsführers“ vorgenommene Entsendung des jeweiligen Leiters des IZH. Die Islamische Republik Iran erklärt in ihrer Verfassung den weltweiten „Export“ der iranischen Revolution zum Staatsziel.“ Weiter heißt es: „Die Inhalte der Verfassung der Islamischen Republik Iran sind nicht mit den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar.“
Die Gesinnung des IZH zeigt sich auch an der erneuten Teilnahme seiner Mitglieder am antisemitischen Al-Quds-Tag, bei dem Muslime jedes Jahr in Berlin für die „Befreiung Palästinas“ demonstrieren. Dass IZH-Chef Ajatollah Reza Ramezani überdies dem iranischen Expertenrat angehört, einem staatlichen Gremium, das Gesetze auf Islamkonformität prüft, scheint man in Hamburg ebenso geflissentlich zu ignorieren wie die Tatsache, dass Ramezani gegenüber der Presse erklärt hat, Islam und Demokratie seien inkompatibel.
Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB)
Aber auch DITIB, die als einer der drei Vertragspartner des Senats fungiert, ist in der Vergangenheit durch Skandale aufgefallen, was begründete Zweifel daran aufkommen lässt, ob sich der Verein tatsächlich an die im Staatsvertrag formulierten Wertegrundlagen gebunden fühlt, zu denen auch das Bekenntnis zur „Toleranz gegenüber anderen Religionen und Kulturen“ gehört.
Dass es damit bei DITIB offenbar nicht allzu weit her ist, zeigte sich im Februar 2017. Damals geriet die Organisation, die von der türkischen Religionsbehörde DIYANET kontrolliert wird, in Deutschland über 900 Moscheen unterhält und in mehreren Fällen der Spionage überführt wurde, wegen islamistischer Hetze in die Schlagzeilen.
„Gib uns den Befehl, und wir zerschlagen Deutschland“
Zuvor hatte der Vorsitzende der zu DITIB gehörenden Wilhelmsburger Muradiye-Moschee in sozialen Medien erklärt, Muslime seien nicht an das Grundgesetz, sondern nur an den Koran gebunden. Auch wollte er Türken und Kurden, die nicht nach dem Islam leben, ins Gesicht spucken und kündigte an, Deutschland auf Befehl Erdogans zu zerstören.
Im Gegensatz dazu erschien die im Dezember 2016 publik gewordene Verbreitung salafistischer Karikaturen durch Mitglieder der DITIB-Jugendorganisation geradezu harmlos. Die im Internet kursierenden Illustrationen zeigten einen Muslim, der dem Weihnachtsmann einen Faustschlag versetzt und enthielten Warnungen vor den „Festen der Ungläubigen“.
Zuvor hatte die Hamburger DITIB 2015 und 2016 insgesamt 254.187 Euro vom Bundesministerium für Soziales, Frauen und Jungend erhalten, während man ihr für 2017 Fördergelder in Höhe von 128.600 Euro in Aussicht stellte.
Umstrittener Status
Neben den Verfehlungen ihrer Funktionäre hat DITIB allerdings noch ein anderes Problem. Im Hinblick auf die Unterzeichnung des Staatsvertrages hatte der Hamburger Senat 2011 eine Expertise in Auftrag gegeben, um die Frage zu klären, ob es sich bei DITIB überhaupt um eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes handele.
Im Ergebnis sprachen die involvierten Experten die Empfehlung einer Satzungsänderung aus, da DITIB durch ihr Statut der direkten Kontrolle von DIYANET unterlag – eines Organs des türkischen Staates, das im Januar 2018 forderte, das heiratsfähige Alter von Mädchen auf neun Jahre abzusenken.
Die Politik steckt in einer Sackgasse
Über die Sinnhaftigkeit, eine stetig wachsende Anzahl von Muslimen in eine nichtislamische Mehrheitsgesellschaft integrieren zu wollen, indem man ihren Verbänden die Umgestaltung einzelner sozialer Segmente gestattet und ihnen gleichzeitig hohe Summen zur Förderung der Integration bezahlt, lässt sich streiten. Hingegen ist erwiesen, dass das Abschließen von Staatsverträgen diesem Ziel zuwiderläuft.
Zwar ist die Feststellung korrekt, dass die Islam-Verbände gegenüber der katholischen Kirche benachteiligt sind, die bis heute vom Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und dem 1933 geschlossenen Reichskonkordat profitiert. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die privilegierte Stellung der Kirche nichts anderes ist als der kümmerliche Rest jener politischen Macht, die sie jahrhundertlang innehatte.
Ein Hemmnis der Integration
Mit den Islam-Verbänden verhält es sich genau andersherum. Als neu hinzugekommene Akteure konnten sie politisch bislang kaum Einfluss nehmen. Da faktisch jedoch all ihre Bemühungen darauf abzielen, dies in Zukunft zu ändern, und der Islam die Trennung von Politik und Religion nicht kennt, erweisen sich Staatsverträge nicht als Förderer, sondern als Hemmnis ihrer Integration. Dieser Befund hat im Januar 2017 auch die Niedersächsische Landesregierung zur Aufgabe des Plans bewogen, das Hamburger Modell zu übernehmen.
Noch immer wird zu oft verkannt, dass die Islam-Verbände darauf angewiesen sind, die eigenen Mitglieder in einer religiösen Kluft zu halten, von der aus sie die Demarkation gegenüber der Mehrheitsgesellschaft betreiben und damit ihre eigene Existenz legitimieren.
Anstatt sie bei der Umsetzung ihrer islamischen Agenda zu unterstützen, sollte der Staat die Erkenntnis beherzigen, dass Integration nicht gelingen kann, solange die Übersetzung religiöser Überzeugungen in politische Forderungen akzeptiert wird. In diesem Sinne gilt mehr denn je: nicht die Religion darf die Politik bestimmen, sondern die Politik die Religion.